Schlossmauer Tuebingen

Begründung

Hier finden Sie meine ausführliche Begründung.

Warum das Thema auf die Tagesordnung gehört

In den vergangenen 30 Jahren lebten wir in Deutschland sicher. Aber im Rahmen der NATO-Erweiterung sind wir umfangreiche Verteidigungsverpflichtungen nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages eingegangen. Bis zum Ukraine-Krieg schien ein solcher Verteidigungsfall weit weg – das hat sich nun geändert. Wenn Deutschland derartige Verpflichtungen eingeht und sogar eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine angestrebt wird, müssen wir uns unserer erheblich gewachsenen Verantwortung bewusst sein: Im Ernstfall müssen deutsche Soldaten und vielleicht Soldatinnen mit höchstem persönlichen Einsatz die Bündnisverpflichtungen einlösen und in einem NATO-Land für dessen Verteidigung kämpfen. Und zwar nicht nur unsere aktuelle Freiwilligenarmee: Wenn das Parlament die Wehrpflicht wieder in Kraft setzt, die unser Grundgesetz unverändert bereit hält, sind alle Männer ab 18 Jahren potenzielle Soldaten. Warum wird diese Gender-Ungerechtigkeit beim Kämpfen eigentlich so selten diskutiert?

Zwei unterschiedliche Fragen sind zu beantworten:
1. Sollte der Staat das Recht haben, Personen zum Waffendienst zu verpflichten?
2. Sollten Frauen und Männer bei der Landesverteidigung die gleichen Rechte und Pflichten haben in Bezug auf den Dienst an der Waffe?

Art. 12a des Grundgesetzes beantwortet aktuell beide Fragen kombiniert:
- Männer ab 18 Jahren dürfen zum Waffendienst verpflichtet werden. Ob eine Verweigerung aus Gewissensgründen anerkannt wird entscheidet eine staatliche Behörde.
- Frauen dürfen auf keinen Fall zum Waffendienst verpflichtet werden, nur im Verteidigungsfall zwischen 18 und 55 Jahren zum Sanitätsdienst.
Frauen dürfen also mit der Waffe kämpfen, wenn sie wollen – aber Männer müssen. Diese Ungleichbehandlung hat gravierende Folgen für die Betroffenen und ich halte sie daher nicht für gerechtfertigt, wie im Folgenden näher erläutert.

Zur ersten Frage: Soll der Staat Personen zum Waffendienst verpflichten dürfen (Wehrpflicht)?

Oder anders formuliert: Darf es einen Vertrag geben, der mit der Geburt in Kraft tritt und dem Staat erlaubt, die später erwachsene Person zum Dienst mit Waffengewalt zu verpflichten? Jedes Baby würde in einen Staat geboren, der sich einerseits um sein Wohlergehen kümmert (Gesundheit, Ausbildung etc.) – und der sich andererseits das Recht nimmt, es als Erwachsenen in den Krieg zu schicken. Damit ist z.B. verbunden (anklicken für Details):

Massive Gewaltanwendung gegen andere Menschen

Eine Person zu verpflichten, gegen einen anderen Menschen tödliche Gewalt anzuwenden, beinhaltet aus meiner Sicht eine massive Gewaltanwendung gegen den menschlichen Instinkt dieser Person, keine solche Gewalt gegen Menschen anzuwenden. Zur Überwindung dieses Instinkts müssen immer wieder möglichst grässliche und unmenschliche Geschichten über den Gegner erzählt werden, da die Kämpfenden sonst kaum zum Einsatz solcher Gewalt gebracht werden könnten.

Physische und psychische Verletzungen auf beiden Seiten

Uns werden meist zwar nur vorsortierte Bilder neuer Präzisionswaffen gezeigt. Doch die Verletzungen, die sie bei Menschen anrichten sind schlimmer, als die meisten von uns es sich vorstellen können. Hinzu kommen psychische Traumata durch Erlebtes und durch ein Nicht-Mensch-sein-dürfen-sondern-Soldat-sein-müssen. Mit einer Verpflichtung zum Waffeneinsatz ist ein persönliches existenzielles Risiko verbunden, das alle Berufs- oder sonstigen „Lebens“-Risiken weit übersteigt.

Lassen wir uns vom typischen Militärsprech nichts vormachen:
Gestorbene Soldaten sind immer gestorbenen Menschen. Sie sind nicht „Gefallene“, denn sie wurden aktiv von anderen Menschen getötet. Auch mag es im Einzelfall verständlich sein, kämpfende oder getötete Soldaten als Helden zu bezeichnen. Doch allgemeine Helden-Rhetorik – vor allem wenn die Personen / Soldaten nicht die Freiheit hatten, vor dem Kampf zu fliehen – ist falsch. Leid und Tod von Soldaten werden meines Erachtens durch Helden-Rhetorik für politische Zwecke instrumentalisiert: Sie soll die persönliche Bereitschaft erhöhen, lebensgefährliche Risiken einzugehen, und womöglich auch die Hemmungen der Soldaten senken, im Kampf zu töten. Diese Art von Kampf ist schließlich mit Töten verbunden – und der positiv besetzte Begriff „Held“ trägt dazu bei, persönliche Zweifel und ggf. die natürliche Zurückhaltung bei Gewaltanwendung zu unterdrücken.

Mehr Konfrontation in der Außenpolitik

Ein Staat kann eine andere Außen- / Wirtschafts- und Sicherheitspolitik betreiben, wenn er seine junge Menschen notfalls zum Waffeneinsatz zwingen darf. Lange vor einer kriegerischen Auseinandersetzung ist diese Option dann immer mit auf dem Tisch und wird in die langfristige Politik und in militärische Planungen einbezogen. In friedlichen Zeiten sind wir uns dessen nicht bewusst – doch wenn sich Konflikte anbahnen ist zu beobachten, wie leicht sich die Rhetorik auf allen Seiten aufschaukelt, wenn alle Seiten davon ausgehen, es gäbe das Recht, junge Menschen in den Krieg zu schicken.

Menschen, die die Wehrpflicht ablehnen, wird manchmal un-patriotisches Verhalten oder mangelnder sozialer Sinn unterstellt: Wer könnte es ablehnen, das eigene Land oder die Verbündeten, Alte, Kranke oder Kinder zu verteidigen? Ich denke, diese Argumentation stellt das Menschliche auf den Kopf. Unmoralisch ist nicht, die Verpflichtung zum Waffeneinsatz abzulehnen - sondern wenn Regierungen das normale menschliche Bedürfnis, anderen Menschen in Not zu helfen, ausnutzen, um z.B. Waffenverpflichtungen zu rechtfertigen.

Meine Antwort auf die erste Frage:
Meine vorgeschlagenen Änderungen des Art. 12a umfassen die Einführung des neutralen Wortes „Deutsche“ anstelle geschlechtsspezifischer Formulierungen an drei Stellen. Nach meinem laienhaften Verständnis würde die Änderung in Abs. 4 ausschließen, dass Deutsche zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden können.

Zur zweiten Frage: Sollen für Männer und Frauen im Verteidigungsfall die gleichen Pflichten und Rechte gelten?

Laut Grundgesetz dürfen Männer heute immer noch nicht einfach „Nein!“ sagen …

und sich für einen zivilen Dienst entscheiden. Sie werden stattdessen gemäß Art 4(3) GG einer Gewissensprüfung unterzogen. Was dabei als legitimer Gewissensgrund anerkannt wird, ist praktisch beliebig dehnbar und wurde in der Vergangenheit sehr verschieden ausgelegt. Wo sonst machen wir als Gesellschaft eine dermaßen wichtige Entscheidung von einer staatlichen Gewissensprüfung abhängig? Warum nur für Männer?

In der Entstehung des Wehrpflicht-Artikels im Grundgesetz wurde mit einer spezifischen Rolle der Frau gegenüber einer spezifischen Rolle des Mannes argumentiert.

Und dieser Idee mögen auch heute noch einige aus dem Bauch heraus zustimmen. Doch ich denke, unsere Gesellschaft hat sich durch viele gute politische Diskussionen weiterentwickelt, so dass diese moralische Unterscheidung zwischen Frauen und Männern heute nicht mehr vertretbar ist. Heute wird mit Recht protestiert, wenn unverhohlen Geschlechter-Stereotype als Rechtfertigung für Entscheidungen herangezogen werden.

Auch wird mit der vermeintlichen physischen Schwäche von Frauen argumentiert.

Zwar gibt es tatsächlich Unterschiede in der durchschnittlichen physischen Leistungsfähigkeit zwischen Männern und Frauen. Doch die Unterschiede zwischen einzelnen Frauen und Männern sind wesentlich größer. Lassen Sie mal einen durchschnittlichen 18-jährigen Mann gegen eine trainierte 18-jährige Frau rennen oder schwimmen … Auch hat sich die Waffentechnik geändert. Es gewinnt nicht mehr der, der schneller laufen oder schwerer heben kann. Besonnene Entscheidungen über den richtigen Einsatz der verfügbaren Kampfmittel sind heute sicher wichtiger als die maximale physische Kraft der Soldatinnen und Soldaten.

Wenn wir an der Wehrpflicht festhalten, sollte sie für alle gelten.

Auch wer meint, die Wehrpflicht sei unverzichtbar für die Verteidigungsfähigkeit der NATO, sollte die Vorteile gemischter Teams kennen: In anderen Bereichen der Gesellschaft ist eine gemischte Gruppe aus Männern und Frauen oftmals erfolgreicher bei der effizienten Erreichung der Ziele. Eine Gender-gemischte Gruppe von Menschen, die zueinander passen, die sich aufeinander verlassen können, die sich in ihren persönlichen Stärken und Schwächen ergänzen, wird wirksamer kämpfen. Wer also glaubt, die Verteidigungsfähigkeit durch eine Wehrpflicht stärken zu müssen, muss Frauen gleichermaßen einbeziehen. Wer an die Wehrpflicht glaubt, muss allen Menschen auch im Grundgesetz klar sagen, dass alle gleichermaßen unverzichtbar sind.

Meine Antwort auf die zweite Frage:
Die Unterscheidung unseres Grundgesetzes nach dem Chromosomensatz der Menschen ist meiner Ansicht nach falsch – oder zumindest nicht mehr zeitgemäß. Die beiden ersten Stellen meiner vorgeschlagenen Änderung des Art. 12a sollen daher die notwendige Geschlechts-Neutralität einführen.

Und wenn mein Vorschlag umgesetzt und die Wehrpflicht abgeschafft würde? Wäre Deutschland dann nicht wehrlos?
Nicht, wenn Kampfeinsätze so gut begründet wären, dass sich genug Freiwillige finden. Auch Polizistinnen und Polizisten gehen ein wesentlich höheres persönliches gesundheitliches Berufsrisiko ein als Ingeneurinnen und Ingenieure. Sie wählen ihren Beruf vor allem auch, weil sie vom Sinn ihres Dienstes an der Gemeinschaft überzeugt sind.
Vielleicht würde die Politik mehr in Konfliktprävention investieren. Wie wäre es z.B., wenn alle NATO-Länder 2% ihres Bruttoinlandsproduktes in das persönliche Kennenlernen anderer Lebensgeschichten und Weltbilder investierten? Also z.B. in internationale Austausche von Auszubildenden oder Studierenden, Schülerinnen und Schülern - gerade mit den Ländern, zu denen das Verhältnis eher schwierig ist. Ich denke, so könnte gegenseitiges Verständnis wachsen. Verständnis im Sinne eines beiderseitigen aufrichtigen Bemühens, die Bedürfnisse und Motive der jeweils anderen Seite zu verstehen als Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Suche nach der bestmöglichen friedlichen Entschärfung eines internationalen Konfliktes.

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